Der Start in El Hierro war mittlerweile der dritte Anlauf für diese Antlantiküberquerung. Wie ich Tage später feststellte, wäre der Umweg über El Hierro, welcher dazu führte, dass ich mein ursprüngliches Ziel – Französisch Guyana – aufgab, gar nicht nötig gewesen. Warum denn das? Der Grund, weshalb ich ein Woche zuvor Kurs auf El Hierro genommen hatte, war, dass bei starken Böen und bei schräg auf das Boot treffenden großen Wellen, die Schubstange des Autopiloten am Ruderschaft durchslippte, wodurch ELEONORE unsteuerbar zu werden drohte.
Ich meinte, in El Hierro den Grund dieses Steuerproblems gefunden und behoben zu haben. So nahm ich ganz entspannt den dritten Anlauf dieser Überquerung in Angriff. Leider währte dieser Entspannungszustand nicht lange! Kaum drei Tage später, mit aufkommendem starken Wind, musste ich konstatieren, dass ich mich wieder auf Feld eins befand: Die Schubstange slippte wieder durch! Umkehren oder zu den etwa vierhundert Seemeilen entfernt gelegenen Kapverden zu flüchten, war von meiner bereits westlichen Position aufgrund des starken Passat- und somit Gegenwindes unmöglich. So galt es,mit diesem Handycap den Atlantik zu überqueren. Erschwerend kam hinzu, dass die Windsteueranlage nicht mehr einsatzfähig war, da ich die Feststellschrauben des Radadapters mittlerweile vermurkst hatte. Somit war ich vollumfänglich auf das Autopilotsystem angewiesen. Die Alternative war, von Hand zu steuern, was als Einhandsegler schlicht ein Horrorszenario ist, das es zu verhindern galt.

Zu meinem Glück fand ich einen Weg, wie ich den Arretierungsflansch der Schubstange bei “laufendem Betrieb” neu justieren und wieder fixieren konnte – bis es wieder durchslippte. Ich braucht dazu aber während mindestens 30 Sekunden eine ruhigere Wind- und Wellensituation. Es funktionierte, obwohl die Wind- und Wellenbedingungen alles andere als geeignet waren. Phuuu! So weit so gut. Apropos Wind und Wellen: Der Passatwind war mit 6-7 Beaufort, in Böen 8, durchwegs stark und die Wellenhöhe bewegte sich um 3-4 Meter. Meine Nerven lagen daher bei diesen 2-3 mal täglich notwendigen Justierungs- und Fixierungsmanöver jedes Mal ziemlich blank.
Als ich mir eines nachts wieder einmal den Kopf darüber zerbrach, wie ich dieses verd**** System besser fixieren konnte, kam ich ENDLICH auf die nahe liegende, banale Idee, an Stelle des normalen Gabelschlüssels, mit dem ich die Muttern jeweils anzog, die entsprechende Nuss mit der verlängerbaren Rätsche einzusetzen, wodurch ich ein deutlich größeres Anzugsmoment haben würde. Ich war nahezu elektrisiert von dieser Erkenntnis. Und zwar aus zwei Gründen: 1. weil mir schlagartig klar war, dass ich soeben die Lösung des Problems gefunden hatte, und 2. weil es mir absolut schleierhaft war und bedenklich schien, dass ich Vollidiot erst jetzt auf diese so durch und durch naheliegende Idee gekommen bin! Doch lieber spät als gar nicht! Ein paar Minuten später lag ich wieder in der Achterkabine auf dem Bauch vor dem Ruderschaft und zog die mir mittlerweile so vertrauten zwei 19er Muttern und die rückseitige 17er Schraube vom Flansch zünftig nach. Und logisch, es war die letzte Aktion dieser Art für den Rest der Überfahrt.

Der Rest ist schnell erzählt: Von den 24 Tagen, die ich bis Marie Galante benötigte, waren an 22 Tagen Windstärke von 6-7 Beaufort mit einer durchschnittlichen Wellenhöhe von 3 Meter der Normalfall. Somit bestand meine Segelgarderobe aus der Fock – oft gerefft – und der Sturmfock, sowie, wenn überhaupt gesetzt, dem Grosssegel im Ref 3 oder 4. Mehrere Nächte lief ich vor “Top und Tackel”, das heißt, ich “segelte” ohne Segel gesetzt zu haben.


Das Niedergangsschot hatte ich mehrheitlich eingesetzt, da es durchaus vorkommen konnte, dass sich plötzlich laut rauschend eine Welle ins Cockpit entleerte. Die Wellen waren zum Glück nicht steil und dadurch, trotz ihrer teilweise imposanten Höhe, harmloser als sie wirkten. Ich stellte jedenfalls nie die Tendenz fest, das ELEONORE auf dem Wellenkamm quer gedrückt würde, womit ab einer Wellenhöhe von über drei Metern durchaus auch die Gefahr des Kentern besteht.

Die Überfahrt blieb eindrücklich bis am Schluss. Bis knapp eine Seemeile vor dem Ankerplatz in Marie Galante blies der Wind noch mit 7 Bf. Am Ankerplatz war es dann zum Glück ruhig, abgesehen von gelegentlichen heftigen Böen, die durchfegten. Unglaublich, wie gut mir die zwei Büchsen Bier – der erste Alkohol seit 24 Tagen – in diesen frühen Morgenstunden unter dem Vollmond mundeten! Meine somit dritte und bisher anspruchsvollste Atlantiküberquerung war Geschichte.
